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Ordentliche Gerichte

 

(BGH­-Entscheidungen werden mitgeteilt von den Rechtsanwälten beim BGH Dr. Hans­ Erich Brandner, Prof. Dr. Rudolf Nirk u. Frhr. Curt v. Stackelberg.)

 

A. Zivilrecht

 

a) BGH

 

5. Unwirksamkeit der Wissenschaftlichkeitsklausel

 

AGB‑Gesetz § 9; AVB f. Krankheitskosten‑ u. Krankenhaustagegeldvers. § 5 I f

 

§ 5 I f MB/KK 76, wonach für den Krankenversicherer keine Leistungspflicht besteht für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, verstößt gegen § 9 AGB‑Gestz und ist deshalb unwirksam

BGH, Urt. v. 23.6.1993 –­ IV ZR 135/92 (Stuttgart)

 

Zum Sachverhalt: Der Kl. ist ein eingetragener Verbraucherver­ein, der satzungsgemäß Verbraucherinteressen wahrnimmt. Er verlangt von der Bekl. im Wege der Verbandsklage gem. § 13 AGB-Gesetz, daß diese es unterläßt, in ihren Allgemeinen Versicherungs­bedingungen eine Klausel mit dem Wortlaut des § 5 I f der Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherung aus dem Jahre 1976 (MB/KK 76, veröff. in VerBAV 1976 437 ff.) oder eine inhaltsgleiche Klausel zu verwenden. § 5 I f MB/KK 76 bestimmt, daß keine Leistungspflicht besteht für wissenschaftlich nicht allge­mein anerkannte Untersuchungs‑ oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel.

Das LG hat der Unterlassungsklage stattgegeben (Verbraucher und Recht [VuR] 1991, 311). Das BerGer. hat die Klage abgewiesen (VersR 1992, 1080). Die Revision des Kl. hatte Erfolg.

 

Aus den Gründen: I. 1. Das BerGer. Sieht die sogenannte Wissenschaftlichkeitsklausel des § 5 If MB/KK 76 als wirksam an.

Es hat ausgeführt, die Klausel verstoße nicht gegen § 9 AGB-Gesetz. Eine­ Unvereinbarkeit mit einem gesetzlichen Leitbild i. S. des § 9 II 1 AGB‑Gesetz scheide aus, weil es ein solches Leitbild bei der privaten Krankenversicherung nicht gebe. Eine Einschränkung we­sentlicher Rechte und Pflichten, die den Vertragszweck gefährdeten, § 9 II Nr. 2 AGB­-Gesetz lägen nicht vor. Ein vernünftiger Versiche­rungsnehmer werde nicht erwarten, daß er Versicherungsschutz für alles genieße was irgend jemand zu seiner Genesung vorschlagen könnte. Die Klausel verstoße auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 9 I AGB­-Gesetz. Sie verwende zwar unbestimmte, ausfüllungs­bedürftige Begriffe. Das sei aber unschädlich, weil keine vermeidbare Mehrdeutigkeit vorliege.

2.    In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob § 5 I f MB/KK 76 gegen § 9 AGB-­Gesetz verstößt. Für die Wirksam­keit der Klausel haben sich ausgesprochen: OLG Frankfurt, VersR 1988, 733; LG Braunschweig, VersR 1990, 1341 m. zust. Anm. E. Lorenz; LG Nürnberg ­Fürth, VersR 1992, 688; LG Duisburg, VersR 1992 1082 AG Köln, VersR 1991, 1238 (nur Leitsatz); AG Neuss, VersR 1977, 1119; AG Saarbrücken, NJW 1987, 718; Bach, in: Bach­ Moser, Private Krankenversicherung, 2. Aufl., § 5 MB/KK Rdnr. 78; Flore, VersR 1992, 1436; Horn, in: Wolf-­Horn-Lin­dacher, AGB­-Gesetz, 2. Aufl., § 23 Rdnr. 500; Prölss, in: PröIss­-Martin, VVG 25. Aufl., § 5 MB/KK Anm. 7 Ad; Wriede, in Bruck­ Möller, VG VI 2, 8. Aufl., K 320; auch Schirmer, Die Wis­senschaftlichkeitsklausel in der privaten Krankenversicherung, 1993, Gutachten im Auftrag der Bekl. für das vorliegende Ver­fahren. Unwirksamkeit der Klausel haben angenommen: LG Stuttgart, VuR 1991 311 als Vorinstanz; LG Düsseldorf, NJW­RR 1993 488; AG Wolfsburg, VersR 1990, 84; Rieger, Lexikon des ArztR, 1984 Rdnr. 1957; Stebner, Kostenerstattung biologischer Medizin 1991 S. 39 f. jedoch nur für bestimmte Fallgestaltungen; wohl auch Lanz, NJW 1989, 1528.

II.    Das BerGer. hat sich durch § 8 AGB-­Gesetz nicht gehin­dert gesehen, die Wirksamkeit des § 5 I f MB/KK 76 an § 9 AGB-­Gesetz zu messen. Das ist richtig. § 5If MB/KK 76 ist nicht gem. § 8 AGB-­Gesetz einer Inhaltskontrolle entzogen. Al­lerdings unterliegen bloße Leistungsbeschreibungen nicht der In­haltskontrolle nach den §§ 9 bis 11 AGB­ Gesetz. Solche Be­schreibungen legen Art, Umfang und Güte der geschuldeten Lei­stungen fest lassen aber die für die Leistungen geltenden gesetzli­chen Vorschriften unberührt. Klauseln, die das Hauptleistungs­versprechen einschränken, verändern, ausgestalten oder modifi­zieren, sind hingegen inhaltlich zu kontrollieren. Damit verbleibt für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vor­liegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentli­chen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr ange­nommen werden kann (vgl. insgesamt Senat, NJW­RR 1993, 1049 = LM H.11/1993 § 9 [Bk] AGBG Nr. 19 [unter I 2] m. w. Nachw.). Zu diesem engen Bereich der Leistungsbeschrei­bung gehört die Bestimmung des § 5 I f MB/KK 76 nicht. Sie schränkt den in § 1 MB/KK 76 bestimmten Umfang des Versi­cherungsschutzes ein, indem sie den Ersatz von Aufwendungen für die Heilbehandlung darauf beschränkt, daß nur die Kosten für wissenschaftlich allgemein anerkannte Untersuchungs‑ oder Be­handlungsmethoden und Arzneimittel erstattet werden. Damit stellt sich die sogenannte Wissenschaftlichkeitsklausel als eine die Leistungsbeschreibung einschränkende und ausgestaltende Be­stimmung dar, die der Kontrolle nach § 9 AGB-­Gesetz unterliegt.

III. Diese Kontrolle ergibt daß § 5 I f MB/KK 76 gegen § 9 AGB‑Gesetz verstößt. Die Klausel ist deshalb unwirksam.

1.    a)    Vor der Prüfung nach § 9 AGB-Gesetz ist der Inhalt der Klausel durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGHZ 93, 29 [42] NJW 1985 623 = LM § 9 [Bm] AGBG Nr. 10; Brandner, in: Ulmer­-Brandner­-Hensen, AGB-­Gesetz, 7. Aufl., § 9 Rdnr. 28; Wolf, in: Wolf-Horn-Lindacher, § 9 Rdnr. 31). Ohne vorangegan­gene Auslegung fehlt die notwendige Klarheit darüber, welcher Inhalt der Klausel im einzelnen anhand des AGB-Gesetzes zu kontrollieren ist.

b)    Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Allgemeinen Bedingungen bei verständi­ger Würdigung (Senat NJW­RR 1992 469 = LM H. 6/1992 § 61 VVG Nr. 37 = VersR 1992, 349 [unter 3 a] m. w. Nachw.), aufmerk­samer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs (Senat, NJW‑RR 1989, 1251 = LM AVG f. Rechts­schutzvers. Nr. 17 = VersR 1989, 908 (unter II]) verstehen muß. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an (BGHZ 84, 268 [272] = NJW1982, 2776 = LM § 2 VVG Nr. 3).

c)    Ein verständiger Versicherungsnehmer geht vom Wortlaut der Klausel aus. „Allgemein“ anerkannt versteht er so, daß die Methode wenn nicht ausnahmslos, so doch zumindest überwie­gend Anerkennung gefunden hat. Für die Frage, wer die Unter­suchungs‑ oder Behandlungsmethoden und die Arzneimittel an­erkannt haben muß, damit die Kosten  erstattungsfähig sind, gibt dem versicherungsrechtlich nicht vorgebildeten Versicherungs­nehmer der in der Klausel verwendete Begriff „wissenschaftlich“ Auskunft. Unter Wissenschaft in der Medizin versteht der Laie als Sammelbegriff alles das, was an den wissenschaftlichen Hoch­schulen in der Bundesrepublik an Forschung und Lehre stattfin­det. Wissenschaftlich anerkannt ist danach eine Methode, wenn sie bei den an den Hochschulen und Universitäten Tätigen über­wiegend anerkannt, also im wesentlichen außer Streit ist. Das ist nichts anderes, als was allgemein auch unter dem Begriff der „Schulmedizin“ verstanden wird (vgl. Bach, in: Bach‑Moser, § 5 MB/KK Rdnr. 64). Als Ergebnis der Auslegung aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers kann deshalb ge­sagt werden, nach § 5 I f MB/KK 76 besteht keine Leistungs­pflicht für solche Untersuchungs‑ oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die nicht der Schulmedizin entsprechen (im Ergebnis ebenso Henrichs, VersR 1990, 464 [468]).

Eine solche Auslegung verbietet sich nicht schon deshalb, weil auch umstritten sein kann, was „Schulmedizin“ ist (vgl. Bach, in: Bach‑Moser, Rdnr. 63), oder weil auch innerhalb der Schulmedi­zin Richtungskämpfe ausgetragen werden. Für das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers von dem, was wissenschaftlich allgemein anerkannt ist, entscheidet allein, daß über die generelle Wirksamkeit einer Methode unter den Schul­medizinern kein nennenswerter Streit besteht (vgl. Prölss, in: Prölss‑Martin, § 5 MB/KK Anm. Aa). Nicht allgemein anerkannt ist eine Methode erst, wenn namhafte Wissenschaftler sie als unwissenschaftlich kritisieren (vgl. LG Köln, VersR 1982, 486). Da allein auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abzustellen ist, kommt es bei der Ausle­gung der Klausel auch nicht darauf an, was Dritte unter „allge­mein wissenschaftlich anerkannt“ verstehen, wie etwa das Bun­desgesundheitsamt (vgl. seine Auskunft, wiedergegeben bei Lanz, NJW 1989, 1528) oder Ärzte (vgl. die Befragung von meh­reren Ärzten durch das LG Stuttgart, Pharma Recht 1984, 76).

Daß es allein auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ankommt, übersieht auch die Auffas­sung, die die Klausel über die schulmedizinischen Methoden hinaus erweitern will und es ausreichen läßt, wenn sich eine Methode in der Praxis so durchgesetzt hat, daß „in der überwiegenden Zahl der Fälle nach statistischer Wahrscheinlichkeit ein beliebig reproduzierbarer therapeutischer Erfolg erzielt werden kann“ (Bach, in: Bach‑Moser, § 5 MB/KK Rdnr. 65 m. w. Nachw.). Diese Auslegung versucht zwar, um Erfahrungen der medizinischen Praktiker mit einzubeziehen, Ele­mente der Wissenschaftlichkeit in die Definition aufzunehmen. Sie verfehlt dabei aber die Verständnismöglichkeiten eines durchschnitt­lichen Versicherungsnehmers. Dieser wird sich bei dem Bemühen, die Klausel zu verstehen, keine Gedanken über die Reproduzierbar­keit des Erfolges nach einer bestimmten statistischen Wahrscheinlich­keit machen.

Die Schulmedizin steht im Gegensatz zur sogenannten alternativen Medizin. Die wissenschaftlich allgemein anerkannten Me­thoden sind gerade nicht die Methoden der alternativen Medizin (Prölss, in: Prölss‑Martin, § 5 MB/KK Anm. Ab). Nach der Wis­senschaftlichkeitsklausel sind mithin solche Kosten nicht erstat­tungsfähig, die durch Arzneien oder Behandlungen nach Metho­den der alternativen Medizin (vgl. kurzer Überblick bei Zuck, NJW 1991, 2933) entstehen. Da sich „wissenschaftlich allgemein anerkannt“ allein auf die Schulmedizin bezieht, kommt es nicht darauf an, ob die jeweilige Methode von den Vertretern der Al­ternativmedizin gebilligt wird. Umgekehrt gilt allerdings, daß die von der alternativen Medizin angewendeten Methoden nicht als allgemein wissenschaftlich anerkannt angesehen werden kön­nen, es sei denn, sie werden auch von der Schulmedizin gebilligt.

d)    Die Revision ist der Ansicht, es komme bei der Auslegung auf den „kundenfeindlichsten“ Sinn an. Daran ist richtig, daß nach heute herrschender Meinung (BGHZ 91 55 [61] = NJW 1984 2161 = LM § 8 AGBG Nr. 4; Lindacher, in: Wolf‑Horn­-Lindacher, § 5 Rdnr. 41 in. w. Nachw.) im Verbandsprozeß nach §§ 13 ff. AGB‑Gesetz von der für den Kunden nachteiligsten Auslegungsmöglichkeit auszuge­hen ist. Die „kundenfreundlichste“ Auslegung einer unangemessenen Klausel gerichtete Funktion auf Beseitigung der Verbandsklage in der Regel vereiteln (vgl. Ulmer, in: Ulmer-Brandner-Hensen, § 5 Rdnr. 5). Ob bei dieser Auffassung die Gefahr einer unterschiedlichen Auslegung derselben Klausel besteht, je nachdem ob sie im Individual‑ oder im Verbandsprozeß vorgenommen wird, braucht der Senat nicht weiter zu erörtern (vgl. BGH, NJW 1992, 1097 [unter II 4] = LM H. 7/ 1992 § 362 BGB Nr. 19). Die hier vorgenommene Auslegung aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers stellt zugleich die ihm nachteilige Auslegung dar.

2.    In dieser Auslegung schränkt die Klausel wesentliche Rechte des Versicherungsnehmers, die sich aus der Natur des Kranken­versicherungsvertrages ergeben, so sehr ein, daß der Vertragszweck gefährdet ist, § 9 II Nr. 2 AGB‑Gesetz.

a)    Mit dem Abschluß eines Krankenversicherungsvertrages – soweit er die Krankheitskosten betrifft – verfolgen die Parteien den Zweck, daß der Versicherungsnehmer die Aufwendungen ersetzt erhält, die ihm durch eine notwendige Behandlung einer Krankheit des Versicherten, durch eine Vorsorgeuntersuchung oder im Falle einer Schwangerschaft entstehen (vgl. § 1 MB/KK76).

b)    Dieser Vertragszweck bedingt nicht auch die Erstattung von Kosten für eine Behandlung, die dem Bereich der Wunder­heilungen und der Scharlatanerie zuzuordnen ist. Vielmehr liegt im Interesse der Versichertengemeinschaft, solche Kosten aus es der Leistungspflicht des Versicherers herauszunehmen. Dem Versicherer ist auch ein berechtigtes Interesse daran zuzubilligen, daß er Kosten der Forschung nicht mitfinanziert, wenn bereits erprobte und erfolgversprechende Methoden und Arzneimittel zur Verfügung stehen. Schließlich ist auch das Bemühen des Versicherers berechtigt, durch eine nähere Abgrenzung seiner Leistungspflicht die Kosten kalkulierbar zu halten und so auch in der privaten Krankenversicherung einen Beitrag zur Kostendämpfung zu leisten. Mit der Regelung des  § 5 I f MB/KK 76 ist der Versicherer über diese berechtigten Interesse aber weit hinausgegangen.

c)   Nach § 4 II MB/KK 76 ist Versicherte berechtigt, auch die Behandlung von Heilpraktikern in Anspruch zu nehmen, wenn die Tarifbedingungen nichts anderes bestimmen. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist indessen auch als medizinischem Laien bekannt, daß die diagnostischen und therapeutischen Methoden der Heilpraktiker von der Schulmedizin, also wissenschaftlich allgemein allenfalls zu einem sehr geringen Teil anerkannt sind (vgl. Lanz, VersR 1992, 1331). Es entspricht auch weitgehend dem Selbstverständnis der Heilpraktiker, außerhalb der herkömmlichen Schulmedizin tätig zu sein (BVerfG, NJW 1988, 2292 [unter C I a. E.]). Mit dem Leistungsversprechen des Versicherers, auch Kosten der Behandlung durch Heilpraktiker zu erstatten, ist die Leistungsbeschränkung des § 5 I f MB/KK 76 nicht zu vereinbaren (vgl. Henrichs, VersR 1990,464 [468]). Mit der Beschränkung auf wissenschaftlich allgemein anerkannte Methoden und Arzneimittel nimmt der Versicherer dem Versicherungsnehmer, was er ihm mit § 4 II MB/KK 76 zu leisten versprochen hat. Dem ist auch nicht durch eine „systematische“ Auslegung abzuhelfen, die die Wissenschaftlichkeitsklausel so ausdehnt, daß von ihr auch die Behandlungsmethoden der Heilpraktiker generell erfaßt werden (so aber wohl Bach, in: Bach-Moser, § 5 MB/KK Rdnr. 63; Flore, VersR 1992, 1436 [unter II 2]). Eine solche Auslegung wäre mit dem Wortlaut „wissenschaftlich allgemein anerkannt“ nicht mehr vereinbar.

d)    Mit der Bestimmung des § 5 I f MB/KK 76, daß keine Leistungspflicht für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethoden besteht, ist auch häufig die Erstattung solcher Kosten ausgeschlossen, die durch Behandlungen unheilbarer Krankheiten entstehen. Bei diesen Krankheiten hat die Schulmedizin in weiten Bereichen noch kein allgemein anerkannte Methoden zur Behandlung gefunden. Zwar ist der Begriff der medizinischen notwendigen „Heil“behandlung i. S. des § 1 II MB/KK 76 auch aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht so zu verstehen, daß Versicherungsfall nur die auf Heilung abzielende Behandlung ist. als Heilbehandlung ist nach der Rechtssprechung des BGH jegliche ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Hei­lung oder auch auf Linderung der Krankheit abzielt (BGH, NJW 1987, 705 = LM AVG f. Krankheitskosten‑ u. Krankenhaustage­geldvers. Nr. 17 = VersR 1987, 278 [unter II 3]; vgl. auch Bach, in: Bach‑Moser, § 1 Rdnr. 12 m. w. Nachw.). Die Wissenschaft­lichkeitsklausel beschränkt jedoch auch die Methoden zur Linde­rung einer Krankheit auf wissenschaftlich allgemein anerkannte. Gerade aber bei unheilbaren Krankheiten, bei denen sich die Qualität einer Methode nicht am Heilerfolg messen lassen kann, fehlt den in der Praxis angewandten Behandlungsmethoden zur Linderung oder auch zur wissenschaftlichen Erprobung eines Heilerfolge die allgemeine Anerkennung durch die Schulmedi­zin. Für einen solchen – noch nicht dem AGB‑Gesetz unterlie­genden – Fall (es handelte sich um Multiple Sklerose) hat der BGH ausgeführt, auch die von der überwiegenden Zahl der Ärz­te und Krankenanstalten geübte Behandlung könne nach den Feststellungen des BerGer. nicht als wissenschaftlich allgemein anerkannt bezeichnet werden, weil die Ursache dieser Krankheit noch immer nicht erforscht sei und jede Art der Behandlung deshalb zwangsläufig experimentellen Charakter habe, ohne daß der Nachweis medizinischer Richtigkeit geführt werden könne (BGH, LM AVG f. Krankheitskosten u. Krankenhaustagegeld­vers. Nr. 10 = VersR 1982, 285 [unter III 4]). Der BGH hat die Auffassung des BerGer. bestätigt, nach der die Weigerung des Versicherers, die Leistung zuzusagen, gegen Treu und Glaube verstoße.

Eine auf den Einzelfall abstellende Beurteilung gem. § 242 BGB hat bei der Inhaltskontrolle nach § 9 AGB‑Gesetz jedoch außer Betracht zu bleiben (vgl. Brandner, in: Ulmer‑Brandner‑Hen­sen, § 9 Rdnrn. 34fI:). Die Fallgruppe der unheilbaren Krankhei­ten, bei denen es keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Behandlungsmethode gibt, ist auch nicht so gering, daß sie bei der gebotenen generalisierenden und typisierenden Betrach­tungsweise (BGHZ 110, 241 [244] = NJW 1990, 1601 = LM § 399 BGB Nr. 30) vernachlässigt werden könnte. Das machen Krankheiten wie die erwähnte Multiple Sklerose, Aids (vgl. OLG München, VersR 1992, 1124), weite Bereiche von Krebs (vgl. OLG Braunschweig, NJW 1991, 2971), aber auch weniger bekannte Krankheiten wie z. B. colon irritable (vgl. LG Braun­schweig, NJW‑RR 1993, 162) deutlich. In all diesen Fällen schließt § 5 I f MB/KK 76 eine Kostenerstattung aus, soweit sich nicht ausnahmsweise auch bei unheilbaren Krankheiten bestimmte Behandlungsmethoden in der Schulmedizin durchgesetzt haben.

Der Senat verkennt nicht, daß die Versicherer sich in den mei­sten Fällen nicht weigern, auch Kosten zu übernehmen, die bei unheilbaren Krankheiten durch wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethoden entstanden sind. Dieser Um­stand kann aber bei der Frage, ob die Wissenschaftlichkeitsklausel der Inhaltskontrolle nach § 9 AGB­-Gesetz standhält nicht be­rücksichtigt werden. Im Verfahren nach § 13 AGB‑Gesetz kommt es nicht darauf an, wie der Verwender die Klausel bislang gehandhabt hat. Entscheidend ist in diesem Verfahren vielmehr, in welcher Weise sie gehandhabt werden kann (BGHZ 99, 374 [376] = NJW 1987, 1634 = LM § 11 Zifl: 15 AGBG Nr. 3).

Soweit versucht wird, im Wege der Auslegung das Ergebnis zu vermeiden, daß nach der Klausel des § 5 I f MB/KK 76 kein Erstattungsanspruch besteht für Kosten der Behandlung von bis­her als nicht heilbar angesehenen Krankheiten, gehen diese Ver­suche fehl. Bach (in: Bach‑Moser, § 5 MB/KK Rdnrn. 71 f) er­kennt zwar, daß es sich um ein Problem des § 242 BGB handelt. Er will aber unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben bei diesen Krankheiten das Merkmal „allgemeiner“ Anerkennung nicht anwenden. Die Klausel läßt jedoch für den durchschnittli­chen Versicherungsnehmer keine Einschränkungen oder Erwei­terungen für bestimmte Krankheiten erkennen. Außerdem liefe eine solche Auslegung auf eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion hinaus. Prölss (in: Prölss­ Martin, § 5 MB/KK An­m. 7 Ab) meint, aus der Wissenschaftlichkeitsklausel ergebe sich nur die Priorität der Schulmedizin, nicht aber der völlige Aus­schluß alternativer Methoden. Versicherungsschutz für alternati­ve Methoden komme in Betracht, wenn für die fragliche Krank­heit keine allgemein anerkannte schulmedizinische Behandlung zu Gebote stehe.

Diese Auffassung ist indessen, wie andere, die § 5 I f MB/KK 76 für unanwendbar erklären, wenn es keine wissenschaftlich allgemein anerkannten Methoden gibt (vgl. z. B. Schirmen, Gutachten, S. 35), mit dem Wortlaut der Klausel nicht zu vereinbaren. Nach ihm ist die Leistungspflicht des Versicherers für alle nicht wissenschaftlich allge­mein anerkannten Behandlungsmethoden ausgeschlossen. Der durchschnittliche, versicherungsrechtlich nicht vorgebildete Versicherungsnehmer kann diesem Wortlaut weder nur eine Priorität der wissenschaftlich allgemein anerkannten Methoden noch den Aus­schluß der Klausel für bestimmte Krankheitsfälle entnehmen.

e)    Schon mit den Einschränkungen, die die Klausel des § 5 I f MB/KK 76 dem Versicherten bei Behandlungen durch Heilprak­tiker und bei unheilbaren Krankheiten auferlegt, geht der Versi­cherer erheblich über seine berechtigten Interessen hinaus, die Kosten einer notwendigen Heilbehandlung möglichst niedrig zuhalten und Aufwendungen für Scharlatanerie von der Erstat­tungspflicht auszuschließen. Die Klausel schränkt den Versiche­rungsnehmer in seinen sich aus dem Vertrag ergebenden Rechten aber noch weiter ein. Mit dem Abschluß des Krankenversiche­rungsvertrages erwartet der Versicherungsnehmer zu Recht, von den Kosten entlastet zu werden, die ihm durch eine notwendige Heilbehandlung entstehen. Ein verständiger Versicherungsneh­mer geht auch davon aus, daß im Interesse der Versichertenge­meinschaft nur Kosten für diejenigen Behandlungsmethoden er­stattet werden, die sich in der Praxis als erfolgversprechend be­währt haben, wenn solche Methoden für die zu behandelnde Krankheit zur Verfügung stehen. Das sind aber nicht nur Metho­den, die eine wissenschaftlich allgemeine, d. h. zumindest über­wiegende Anerkennung in der Schulmedizin gefunden haben. Heute werden in der Praxis von Ärzten, die eine schulmedizini­sche Ausbildung erhalten haben, auch Behandlungsmethoden der alternativen Medizin als erprobt und aufgrund der Erfahrung er­folgversprechend angewandt, auch wenn diese Methoden an den medizinischen Hochschulen (noch) nicht allgemein anerkannt sind. Entscheidet sich der Versicherte für eine solche Behand­lungsmethode, ist kein berechtigtes Interesse des Versicherers er­kennbar, daraus erwachsende Kosten nicht zu erstatten und da­mit dem Vertragszweck nicht zu entsprechen, wenn die nicht wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode in ihrer Wirk­samkeit den von der Schulmedizin gebilligten Methoden gleich­zustellen ist und keine höheren Kosten verursacht.

Die Klausel des § 5 I f MB/KK 76 bewirkt mithin insgesamt, daß der Zweck des Krankenversicherungsvertrages in erheblichen Teilbe­reichen verfehlt wird. Ihr ist deshalb gem. § 9 AGB‑Gesetz die Wirk­samkeit zu versagen.